Hamburger Morgenpost vom 17. Mai 2001
Klangräume in Bewegung
Mensch und Technik in der Musik
Von A. Tegen
„Wir sind auf den Sprung in ein neues Zeitalter, das
keiner wahrhaben will“ sagte Ralf Hütter 1969, „ Dieses wird
kompliziert sein, rasant und faszinierend.“ Der Mitbegründer von
„Kraftwerk“, der ersten Elektroformation Deutschlands, wusste schon
damals, dass sich mit dieser Tatsache auch die Musik verändern würde.
Er glaubte: „In 20 Jahren werden kaum noch Gruppen mit Gitarren und Schlagzeug
auftreten.“ Bei Kraftwerks ersten Konzerten in Berlin hatte es Gurken
und Tomaten geregnet. Minimalismus und Liebe zur Maschine standen jenseits eines
Lebensgefühls der Naturnähe, des Pazifismus und der Antiatomkraft.
30 Jahre später ist Hütters Vision Realität. Kaum eine neue Musikrichtung
wäre denkbar ohne programmierte Parts. Lasse-Marc Riek und Costa Gröhn
haben sich das Thema Mensch und Technik zum Motto ihrer DJ-Performance gemacht.
Die Virtuosität einer Maschine, die Ästhetik industrieller Geräusche
und der Mensch als Veränderer des Klangmaterials, darum geht es in „Klangräume
in Bewegung“. Die Djs spielen an zwei Anlagen gleichzeitig, live wird
der eigene Herzschlag, Atem und die Stimme abgesamplet und ins Dj-Set aus neuer
Musik, Elektro und Breakbeat integriert. Der DJ-Jam geht einher mit Staubsaugergeräuschen,
Mobiltelefon und Weckalarm. Hörbares Symbol für die Autonomie des
Individuums über die Technik und wohl Beeindruckendster Teil der Performance:
Cds und Schallplatten werden zum Ende hin zerkratzt.
In einem Raum, in dem Klänge aus verschiedenen Ecken ertönen, soll
der Hörer all dies plastisch erfahren. Gewünschtes Ziel der Veranstalter
ist es, den Hörer für den Zufall zu öffnen. Dieser ergibt sich
aus der Unmittelbarkeit der Geräusche, bei denen oft nicht festzustellen
ist, ob sie digital oder menschlich erzeugt wurden. In der Rückwirkung
des gesamten Hörerlebnisses soll die Natur unverkennbar bleiben. Ob nun
als Sieg der Bits & Bytes über den Menschen oder als Dominanz des Menschen
über die Natur, fühlbar bleibt HomoSapiens für das Duo in jedem
Fall. „Wir haben eine Seele, auch wenn sie elektronisch und mathematisch
ist“, sagten Kraftwerk 1970. Lasse-Marc Riek und Costa Gröhn können
unterzeichnen.